Azubis
als Chefs
Quelle: Berliner
Zeitung vom 18.06.2002
LICHTENBERG
Die Marktführer
Im Kaufland am Ostkreuz leiten seit zwei Wochen Azubis die Geschäfte
Seit sechs 6 Uhr ist Bastian Busack im Haus unterwegs. Er hat beim Morgenrundgang
geprüft, ob alle Lieferungen eingetroffen sind, ob Obst und Gemüse,
Fleisch, Wurst und Käse frisch sind und ob alle Kassen besetzt sind. Er
hat das Acht-Uhr-Morgenmeeting geleitet, auf dem die Verkaufsaktionen des Tages
besprochen werden. Und er hat überprüft, ob von jedem der 20.000 Produkte
ein ausreichender Vorrat im Lager liegt. Bastian Busack ist 21 Jahre alt, Azubi
und am Montag der "Chef des Tages" im Kaufland am Ostkreuz.
Für vier Wochen haben er und drei weitere Azubis dort die Geschäfte
übernommen. Sie kümmern sich um Warenbestellungen, Dienstpläne
und Abrechnungen. Für diese Zeit sind sie die Chefs für 114 Lehrlingskollegen,
die in mehreren Bundesländern zu Einzelhandelskaufmännern und -frauen
ausgebildet werden.
"Das Schwerste war, sich zu überwinden und Anweisungen zu erteilen",
sagt Sabrina Naasner. "Wir waren doch bisher nur gewohnt, selbst Befehle
zu bekommen", sagt die 21-Jährige. Jetzt reden die vier Chef-Azubis
schon von "Fingerspitzengefühl" und "unterschiedlichen Charakteren
der Mitarbeiter", auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Zum Beispiel
bei der Gestaltung der Dienstpläne, wenn etwa Kollegen nicht miteinander
auskommen oder wenn in den Regalen etwas fehlt.
Bastian Busack hat sich einen eigenen Spruch zurechtgelegt: "Kein Grund
zur Panik, wir bekommen schon alles geregelt", sagt er oft.
Es ist das erste Mal, dass das Unternehmen aus Neckarsulm Auszubildenden aus
Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt einen ganzen
Markt anzuvertraut, für den sie allein verantwortlich sind. Die "richtigen"
Kollegen arbeiten während der Zeit in anderen Märkten oder haben Urlaub.
Schon jetzt seien die Erfahrungen so gut, dass Kaufland dieses Projekt zum Bestandteil
der Ausbildung machen will, sagt Unternehmenssprecherin Elvira Saverscheck.
Die Azubis wollen zeigen, dass sie es können. Wie Maria Kiekebusch, die
für das Sortiment am Obst- und Gemüsestand zuständig ist. "Viele
Kunden sind überrascht, dass wir den Laden schmeißen", sagt
sie. Die 18-Jährige offerierte erst kürzlich ihren Kunden eine extra
Verkostung exotischer Früchte. "Wenn man Verantwortung trägt,
fallen Entscheidungen für solche Aktionen leichter", sagt sie.
Dass alles so gut läuft im SB-Kaufhaus im Victoria-Center, liegt aber vor
allem an den vier Chef-Lehrlingen. Es sind die jeweils besten in ihren Ausbildungsklassen,
später sollen sie tatsächlich einmal Führungspositionen übernehmen.
Nach zwei Wochen wirken sie schon ziemlich routiniert und selbstsicher. Bisher
sind sie ohne Hilfe klar gekommen. Auch, als statt sechs gleich 66 Stiegen Schlemmerjogurt
geliefert wurden. Ein Computerfehler bei der Bestellung, wie sich später
herausstellte. Doch die Ware musste verteilt werden. Nach einem Rundruf in andere
Kaufland-Märkte, bestellten die vier Hausleiter einen Kühltransporter
und verteilten den Jogurt-Überfluss.
In fünf bis acht Jahren könnten die vier vielleicht wirkliche Marktleiter
sein, sagt Vertriebsleiter Hans-Joachim Baltz. Er ist der einzige Vorgesetzte,
der jeden Tag dienstlich ins Azubi-Kaufland kommt. Andere Kollegen kommen aus
rein privater Neugier: Sie wollen wissen, wie der Laden ohne sie so läuft.
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